Dr. Ute Rajathurai

Im Zuge der BME-Porträtreihe „Leading Ladies in Procurement" gibt Dr. Ute Rajathurai, SVP & Global Head of Procurement bei der Bayer AG, im folgenden Interview Einblicke in ihren Werdegang.
Veröffentlicht am 07.08.2023

Name: Dr. Ute Rajathurai
Position: SVP, Global Head of Procurement Product Supply Crop Science

Was hat Sie in den Einkauf geführt?

Das war ein Zufall – oder auch Schicksal. Ich habe als Rechtsanwältin in-house bei uns gearbeitet. Die Rechtsabteilung hat zu dem Zeitpunkt unsere externen Rechtsberater ohne Einbindung des Einkaufs beauftragt. Angesichts signifikanter Kostenentwicklungen in diesem Bereich wollten wir das als Unternehmen ändern und die Zusammenarbeit mit dem Einkauf etablieren. Dazu war uns wichtig, Expertise und Erfahrung aus beiden Welten zusammenzubringen. Und so bin ich in den Einkauf gekommen: mit der Aufgabe, „external legal spend management“ für den Bayer Konzern global zu etablieren. Für drei Jahre. Mit einem spannenden Rückfahrschein in die Rechtsabteilung – was ich nach den drei Jahren jedoch ausgeschlagen habe, um meine Laufbahn im Einkauf fortzusetzen. Bayer hat damals Preise gewonnen für unsere innovativen Ansätze. Und ich war begeistert von den Möglichkeiten und dem Impact, den wir im Einkauf haben können. Da wollte ich dabeibleiben.

Als Führungskraft im Einkauf haben Sie sicherlich eine Vielzahl von Verantwortlichkeiten. Bitte beschreiben Sie uns Ihren Verantwortungsbereich oder Projekte, an denen Sie derzeit arbeiten.

Erst in den letzten Wochen haben wir zwei sehr große Verträge mit IT-Dienstleistern abgeschlossen. In meiner neuen Aufgabe liegt ein großer Schwerpunkt auf dem Thema Supply Chain Resilience. Kostenmanagement gehört natürlich ebenfalls zu unseren Prioritäten. Weil mir Teilhabe ein wichtiges Anliegen ist, sponsere ich GROW (Growing representation of women) Germany bei Bayer. Außerdem bin ich vielfach als Mentorin und Coach aktiv. Die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Organisation ist mir genauso wichtig wie der Fokus auf Mitarbeiter- und Kulturentwicklung. Wie Digitalisierung uns als Einkauf stärken kann, ist und bleibt ein Thema. Unsere Nachhaltigkeitsziele sind ambitioniert und erfordern Priorität. Und last but not least darf ich eine Initiative rund um das Thema Risikomanagement übergreifend sponsern. Über alldem steht bei Bayer die Vision „Health for all, hunger for none” – und sie treibt auch mich persönlich an. Das Wachstum und das zunehmende Altern der Weltbevölkerung sowie die steigende Belastung der natürlichen Ökosysteme stellen die Menschheit vor große Herausforderungen. Als eines der weltweit führenden Unternehmen in den Bereichen Gesundheit und Ernährung können wir maßgeblich dazu beitragen, Lösungen zu finden – auch und vielleicht sogar gerade im Einkauf.

Gibt es bestimmte Vorbilder oder Inspirationsquellen, die Sie persönlich beeinflusst haben?

Oh ja, absolut. Aber da ist nicht der oder die eine Person. Da ist nicht die eine Quelle. Das sind viele. Allen voran mein Vater, der mir vermittelte, dass ich Talente habe, Zugang zu Bildung und Unterstützung von zu Hause. Der mir aber auch vermittelte, dass daraus eine Verpflichtung erwächst. Nämlich, etwas daraus zu machen. Etwas zurückzugeben. Und meine Kinder. Die ehrlichste und direkteste Feedbackquelle, die ich mir nur vorstellen kann. Viele Menschen, mit denen ich arbeiten durfte und darf. Großartige Mitarbeiter, mein Kollegium sowie Vorgesetzte. Die mich geprägt haben, von denen ich lernen und deren Weg ich ein Stück begleiten durfte. Mir liegen die Themen Leadership, Coaching und Human Dynamics ganz besonders am Herzen. Auch da gibt es viele Inspirationsquellen für mich. Herausheben möchte ich aber Manfred Kets de Vries – einer der Pioniere, der Organisationsentwicklung, Führung und Psychologie zusammengebracht hat, der mir sehr viele Denkanstöße vermittelt hat und sicherlich prägend war für mein Bild von moderner Führung, meine Sicht auf das System, auf mein Kollegium und mich selbst im Sinne der Selbstreflexion.

„Sie als Frau…“, war das bisher in Ihrer Karriere ein Thema?

Na klar. Oft habe ich diese Fragen beantwortet: Wie schaffen Sie das eigentlich, Sie haben doch Familie? Sicher nur eine von vielen Fragen, die Männern eher selten gestellt werden. Lange habe ich mich dem Thema Frauennetzwerke eher ablehnend gegenüber positioniert: Ist das nicht genau die Antwort auf den „Boys Club“ und genauso wenig inklusiv? Denn darum geht es doch eigentlich, um Teilhabe für alle. Heute sehe ich das anders. Ich glaube immer noch, dass das Individuum im Vordergrund stehen sollte und nicht der Mensch als Mann oder Frau. Und auch, dass Vielfalt aus mehr besteht als aus Gender. Aber ich habe auch gelernt, dass es viele Themen gibt, die uns als Frauen im Beruf verbinden, in denen wir als Frauen einander unterstützen können. Ohne Verbündete allerdings wäre das ein einsamer und steiniger Weg. Was wir brauchen, sind Menschen aller Geschlechter, die sich solidarisch für das Thema Teilhabe einsetzen. Die bereit sind, ihre Macht, Position oder Privilegien zu nutzen, um anderen zu helfen. Es geht um Solidarität, um die langfristig besseren Ergebnisse, die Diversität schaffen sowie um die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen und sie zu unterstützen, obwohl man selbst kein Mitglied dieser Gruppe ist. Das ist also eine Aufgabe für uns alle.

Welche Hürden und Herausforderungen sind Ihnen im Laufe Ihrer Karriere begegnet?

Ich bin Hürden und Herausforderungen begegnet, aber auch vielen Chancen: Karrierepläne, die sich nicht materialisiert haben. Andere Türen, die dadurch aufgegangen sind. Großartige Menschen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mein Kollegium und Führungsfiguren, die mich geprägt haben. Es gab Transformationen, die nicht nur auf dem Papier standen, sondern auch im echten Leben umgesetzt werden mussten. Die viele Mitarbeitende betroffen haben. Dabei war mir ein würdevoller Umgang mit Menschen wichtig. Es gab Entscheidungen, die sich als falsch herausgestellt haben – und die sich daraus ergebende Chance zu lernen. Momente voller Optimismus und großer Pläne, Momente des Erfolgs, Momente des Scheiterns: Das alles gehört dazu. Und ja, jetzt bringe ich das Thema proaktiv, natürlich auch die stetige Frage, wie ich die Bedürfnisse meiner Familie, die meines Berufs und auch meine eigenen unter einen Hut bringe.

Welche Werte spielen in Ihrem Leben eine große Rolle?

Mut spielt für mich eine große Rolle, Vertrauen und Fairness. Mir ist eine positive Haltung wichtig, Dinge zu gestalten, visionäre Ideen zu entwickeln – und diese auch über die Ziellinie zu tragen. Wertschätzung und Würde. Zu wachsen: als Organisation, als Team und auch als Einzelperson.

Was würden Sie sich in puncto Frauenförderung von Entscheidungsträgern und der Politik wünschen?

Die Frage würde ich gerne auslassen, weil schon oben beantwortet.

Wären mehr Führungspositionen in Teilzeit wünschenswert, um mehr Frauen auf C-Level im Einkauf zu haben?

Das kann ein Mittel sein – und kein schlechtes. Allein genommen aber halte ich es für zu kurz gesprungen, wenn wir denken, dass wir „Teilzeitstellen für Frauen“ schaffen. Wir müssen eigentlich dahin kommen, dass Kinderbetreuung kein Frauenthema ist. Es ist eine Aufgabe für Mütter und Väter und auch für unsere Gesellschaft. Bessere Angebote in der Kinderbetreuung halte ich daher für essenziell. Und Väter und Mütter, die sich mit größerer Selbstverständlichkeit gemeinsam die Kinderbetreuung teilen. Und mehr Normalität, wenn beide Elternteile voll arbeiten.

Was war bisher ihr größtes Abenteuer?

Spontan fällt mir das Thema „Sprünge“ ein: Ursprünglich war ich der klassischen Musik verhaftet – und bin dann ziemlich unerwartet für mein Umfeld ins Jurastudium gesprungen. Als ich meine erste Aufgabe im Einkauf übernommen habe, hat es sich für mich angefühlt wie ein Sprung vom Zehnmeterbrett. Ich wusste: Da ist Wasser im Pool. Wie warm oder kalt es ist, das wusste ich allerdings nicht. Und dann war da mal ein Fallschirmsprung – eigentlich nichts, wofür ich mich freiwillig melden würde. Aber es war ein Geschenk an mein Patenkind, der wie selbstverständlich davon ausging, dass ich dann auch mitspringe und mich am Ende an der Ehre gepackt hat. Und was soll ich sagen: Es war ein vollkommen fantastisches Erlebnis!

Was planen Sie für das nächste Jahr?

Ich habe gerade eine neue Aufgabe übernommen. Vor uns liegen viele Herausforderungen und großartige Chancen. Ich freue mich darauf, mit meiner Organisation stärker zusammenzuwachsen, gemeinsam unsere Dekarbonisierungsziele voranzutreiben und die Resilienz unserer Supply Chain zu stärken. Ich freue mich darauf, dabei mitzuhelfen, unsere Exzellenz im Einkauf insgesamt weiter zu steigern, das Thema Risikomanagement weiterzuentwickeln, unsere Kultur weiter mitzugestalten. Mit vielen neuen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen.

Zum Abschluss: Was würden Sie Frauen, die im Einkauf erfolgreich sein wollen, gerne mit auf den Weg geben?

Erst mal, dass der Einkauf eine großartige Abteilung ist. Ein Bereich, in dem wir alle unheimlich viel Wirksamkeit für unsere Unternehmen entfalten können, die Zukunft zu gestalten. Und dann: Habe große Träume und glaube an dich, wage Neues und lerne immer dazu – und nimm an, dass der Weg nicht immer ganz gerade sein wird. Und zu guter Letzt: Es geht nicht nur um das What, sondern auch um das How. Beruflicher Erfolg ist kein Individualsport, sondern eine Teamleistung. Und wissen Sie was? Das würde ich eigentlich nicht nur Frauen sagen, sondern auch den Männern.

Kurzprofil:

Ich leite seit Juni 2023 weltweit den direkten Einkauf unseres Agrargeschäfts Bayer Crop Science. „Beschaffung“ greift viel zu kurz für meine Aufgabe, denn es sind ganze Ecosysteme, die wir als Teams orchestrieren – unter dem Motto #IgnitingNetworks. Die Themen Transformation, Change und Leadership interessieren mich ganz besonders. Sie haben mich durch meinen Lebenslauf begleitet, vom Studium der Rechtswissenschaften über mehrere Jahre als Syndikusanwältin für Bayer bis zu meinem Wechsel zu Procurement vor gut zehn Jahren. Geprägt durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Führungsaufgaben und Rollen in den Bereichen Strategie, Nachhaltigkeit, Innovation, Digitalisierung und indirekter Einkauf nehme ich neue Herausforderungen mit Neugier an. Ich lebe mit meiner Patchworkfamilie in Köln, unsere drei Kinder sind junge Erwachsene und Teenager.

Foto: Dr. Ute Rajathurai

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